Skip to main content
ReportSDG 7

Von Wildpoldsried nach Afrika

In a room full of desks, six people are working on technical equipment and photovoltaic panels. A poster in the background reads "Wildpoldsried: the smart energy village".

Das Allgäuer Dorf Wildpoldsried ist inzwischen international bekannt, weil die Bürgerinnen und Bürger zeigen, wie Bürgerenergie eine Kommune voranbringt. Um dieses Wissen weiterzugeben, haben sie hier mit anderen eine praxisnahe Fortbildung entwickelt und – auch finanziert von der Grünen Bürgerenergie – 4.000 afrikanische PV-Technikerinnen und -techniker qualifiziert. Aber nicht die Technik allein verbindet Wildpoldsried mit Afrika.

Das 2.600 Einwohnerdorf Wildpoldsried liegt in einem Meer aus grünen Wiesen, umgeben von bewaldeten Hügeln. Auf den ersten Blick gleicht das Dorf vielen anderen Allgäuer Kommunen. Anders als die meisten, ist das kleine Dorf inzwischen weltweit bekannt – als Energiedorf, das ihre Energieversorgung erfolgreich in die Hand genommen hat.

Und so pilgern immer neue Delegationen ins Allgäu. Sie wollen wissen, wie es der Gemeinde gelungen ist, dass sie heute achtmal mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als sie selbst benötigt und rund 60 Prozent des eigenen Wärmebedarfs abdecken kann. Bis zu 140 Besuchergruppen im Jahr begrüßt Günter Mögele, der zweite Bürgermeister der Kommune. Er hat also durchaus Routine, wenn er mit ihnen die wichtigen Standorte abfährt. Von einem Hügel blicken die Besuchergruppen auf mit PV-Modulen bedeckte Dächer und elf Windkraftanlagen, die sich auf dem Höhenzug am Rand der Gemeinde drehen.

„Das sind unsere eigenen Windräder“

Für acht weitere habe es noch Platz, erklärt Günter Mögele. Finanziert hat die bestehenden Anlagen kein anonymer Investor. Vielmehr sind an diesen Windrädern 400 der 750 Haushalte im Dorf beteiligt. „Das sind also unsere eigenen Windräder“, sagt er. Diese Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger – erst in Form von Informationen, dann finanziell – war und ist für ihn der Schlüssel zum Erfolg.

Abzusehen war das nicht. Gemeinderatsmitglied Mögele macht keinen Hehl daraus, dass es anfangs nicht einfach war, die Bürgerinnen und Bürger für die Energiewende zu begeistern. Der Strom kam auch in Wildpoldsried aus der Steckdose, die Wärme aus dem eigenen mit Öl betriebenen Heizungskeller.

Den Unterschied machten anfangs einige Pioniere aus. Einer davon lebt im Weiler Eufnach, knapp vier Kilometer nordöstlich von Wildpoldsried. Wendelin Einsiedler betreibt mit seinem Bruder einen Hof mit 130 Rindern. Während der Bruder das Vieh betreut, kümmert sich der 67-Jährige um seine zahlreichen Energieprojekte. „Aus Kuhscheiße Energie zu gewinnen, war für mich immer schon eine reizvolle Idee“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Mit 28 kW Leistung hat er angefangen, heute liegt die Spitzenlast seiner Biogasanlage bei 2.400 kW. Gerade erst hat er die Haube seines Gasspeichers vergrößert, damit er mehr Biogas speichern kann. Er hat eine Gasleitung ins Dorf gelegt, wo inzwischen neun Blockheizkraftwerke mit seinem Gas Wärme und Strom produzieren. Er ist ein Tüftler durch und durch, den technische Herausforderungen motivieren. Wer ihn über die vielen Chancen reden hört weiß, die Energiewende ist für ihn ein Fest, auf dem er mittanzen will und wovon er lange noch nicht genug hat.

„Er hat damals einfach losgelegt, die Biogasanlage errichtet und in zwei Windräder investiert“, sagt Günter Mögele. Seine technische Expertise und seine Lust, neue Wege zu gehen, legten die Grundlage für den Wandel. Im damaligen Bürgermeister Arno Zengerle und seinem Stellvertreter Günter Mögele fand Wendelin Einsiedler kongeniale Mitstreiter. Arno Zengerle unterstützte die Vision einer kommunalen Energiewende aktiv und bereitete ihr den Weg, indem er kommunale Gebäude mit PV ausstattete, für Blockheizkraftwerke und andere Projekte die Zustimmung des Gemeinderates organisierte und das Motto der Gemeinde „WIR – Wildpoldsried Innovativ Richtungsweisend“ vorantrieb. „Wenn man Bürgerinnen und Bürger überzeugen will, muss man als Kommune vorangehen und ein Beispiel geben“, sagt Günter Mögele. Heute muss man in Wildpoldsried niemand mehr überzeugen, die vielen Leuchtturmprojekte und die Energiekrise sprechen für sich.

Technische Fähigkeiten – Brücke nach Afrika

„Irgendwann haben wir uns aber auch gefragt, was machen wir mit all unserem Wissen“, sagt Günter Mögele. Diese Frage bildete den Startschuss für das partnerschaftliche Ausbildungsprojekt VET4Africa, das er mit Manfred Wolf und Willi Kirchensteiner – beide arbeiteten viele Jahre als Ausbilder für die bayerische Akademie für Lehrfortbildung und Personalführung (ALP) – gegründet hat. VET4Africa steht für Vocational Education and Training bzw. Ausbildung der Ausbilder. Die Idee: Afrikanische Berufsschullehrinnen und -lehrer praxisnah so fortzubilden, dass sie mit ihrem Wissen afrikanische Fachkräfte für PV-Systeme trainieren können.

„Die Ausbildung von Fachleuten ist ein Schlüssel, wenn wir erneuerbare Energien in Afrika voranbringen wollen“, sagt Manfred Wolf über sein Engagement. Viele Jahrzehnte hat er an der ALP gelehrt. Nun hat er mit seinen Mitstreitern 2017 ein Ausbildungskonzept entwickelt, das Spaß an der Technik machen sowie Grundlagenwissen sehr praxisnah vermitteln will.

„In unserem Photovoltaikkurs 1 (PV 1) bauen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihren eigenen Solarkoffer, mit dem sie in ihrem Land Fachkräfte sehr praxisnah schulen können“, erzählt Wolf. Im Kurs PV 2 lernen sie dann komplexe PV-Anlagen zu planen, zu bauen und zu warten. 20 deutsche Berufsschullehrer betreuen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über den Kurs hinaus, sei es digital, sei es vor Ort.

Ausbildung der Ausbilder

Die Schulungen hat VET4Africa mit finanzieller Unterstützung des BMZ durchgeführt. Seit 2018 fanden „Training of the Trainer for Photovoltaics“-Kurse in Wildpoldsried und in Altötting für afrikanische Berufsschullehrinnen und -lehrer statt, die im Anschluss über das Grüne Bürgerenergie-Projekt des BMZ in ihren Ländern entsprechende Kurse für ihre afrikanischen Kollegin und Kollegen angeboten haben. Weil während der Corona-Pandemie Kurse in Präsenz nicht möglich waren, hat VET4Africa digitale Kurse abgehalten und darüber weitere afrikanische Mastertrainer für ihre Bildungsaufgabe trainiert.

Seither hat VET4Africa mehr als 300 Trainerinnen und Trainer aus 17 afrikanischen Ländern ausgebildet. Die Plätze waren heiß begehrt. Für 20 Plätze des PV2-Kurses bewarben sich 200 Interessierte. Alle, die teilnehmen durften, mussten sich verpflichten, im Anschluss der Schulung in ihrem Land mindestens 50 Fachkräfte auf PV1- oder 30 Fachkräfte auf PV2-Niveau pro Jahr zu schulen. Dieses Schneeballsystem funktioniert: Die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer haben inzwischen rund 4.000 PV-Technikerinnen und -techniker qualifiziert.

Die Zahlen beeindrucken, die Geschichten und Entwicklungen von einigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern überzeugen ebenfalls. Der von VET4Africa ausgebildete Mastertrainer Bertrand Pani hat in Kamerun die German Solar Academy Cameroon gegründet und das VET4Africa-Kurssystem um einen PV3-Kurs weiterentwickelt. Inzwischen plant er in Kamerun komplexe PV-Systeme für Krankenhäuser und Schulen. Mwamed Sizoomu wiederum hat ein Projekt zur Milch-Kühlung in Uganda aufgebaut.

Praktische PV-Schulungen – Schlüssel für Qualität

Mit ihren ausgebildeten afrikanischen Trainerkolleginnen und -kollegen stehen Günter Mögele und Manfred Wolf nach wie vor in Kontakt. So auch mit Dr. David Wekesa und Veronica Terenoi Nkooyio aus Kenia. Mit beiden haben sie sich am heutigen Nachmittag zu einer Web-Konferenz verabredet.

Er ist wie Betrand Pani ausgebildeter Mastertrainer. Er hat das Renewable Energy Research Consortium (RERC) an der Multi Media University in Nairobi gegründet. Über seine Ausbildung in Wildpoldsried sagt er: „Die zehntägige PV-Schulung in Deutschland hat meinen Horizont erweitert“. In seinem Institut bietet er aktuell mindestens einen PV-Kurs pro Monat an und hat bereits vier weitere Mastertrainer ausgebildet. „Zusammen haben wir zwölf Schulungen mit 90 Trainees abgehalten. Außerdem habe ich einen Lehrstuhl für PV-Systeme gegründet“, sagt er.

Eine dieser Trainees war Veronica Terenoi Nkooyio. Sie arbeitet inzwischen als Trainerin für PV-Systeme und verfolgt große Ziele. „Ich will ein Ausbildungszentrum etablieren, um die produktive Nutzung von PV-Systemen voranzubringen“, sagt sie. Ihre Kurse möchte sie wie VET4Africa sehr praktisch halten. „Das praktische Training ist aus meiner Sicht der Schlüssel für mehr Qualität“, sagt sie.

Es sind diese Ergebnisse und Rückmeldungen, die Günter Mögele und Manfred Wolf antreiben. „Wir haben eine Hilfe zur Selbsthilfe auf Augenhöhe geschaffen“, sagt Manfred Wolf. Aus seiner Sicht ist es VET4Africa gelungen, eine relativ komplexe Materie didaktisch so herunterzubrechen, dass daraus schnell ein praktischer Nutzen entstehen kann. „Und ich bin sehr stolz auf unsere Kollegen, die als Mentoren nach wie vor ihre afrikanischen Trainees begleiten.“

Von Wildpoldsried nach Afrika

Die Beispiele aus Kamerun, Kenia und Uganda zeigen, dass es in Afrika wie in Wildpoldsried auch auf Schlüsselpersonen ankommt, die die Potenziale von erneuerbaren Energien vorantreiben wollen. Gemeinsames Wissen zu teilen, legt dafür den Grundstein. Darüber hinaus braucht es Menschen, die ihre Utopien unabhängig von der Mehrheitsmeinung.